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31. Mai 2005 Forschungspolitik

Die richtige Auswahl der Person

Jürgen Mlynek über die Potentialausschöpfung im deutschen Forschungssystem

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"Die Potentialausschöpfung im Forschungssystem Deutschlands":
IGAFA-Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Mlynek am 27. Mai 2005 in Adlershof

Ein Bericht von Klaus-Heinrich Standke
Direktor für Wissenschaft und Technologie a.D. bei den Vereinten Nationen, New York
Ehem. Beigeordneter Generaldirektor bei der UNESCO, Paris

Im Rahmen ihrer monatlichen "Academic Luncheon"-Veranstaltungen der Initiativgemeinschaft der Außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Adlershof e.V. (IGAFA) hat Staatssekretär a.D. Prof. Dr. Ingolf V. Hertel, ehem. Präsident der Leibniz-Gemeinschaft (WGL), im Namen des IGAFA-Vorstandes den scheidenden Präsidenten der Humboldt-Universität und designierten Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft Prof. Dr. Jürgen Mlynek zu einem Vortrag am 27. Mai 2005 eingeladen.
Zeitpunkt und Thema waren so gewählt, um Prof. Mlynek Gelegenheit zu geben,
(1) kurz vor seinem Ausscheiden aus der Humboldt-Universität von einigen während seiner Amtszeit gemachten Erfahrungen in der Berliner Wissenschafts- und Hochschulpolitik zu berichten,
(2) vor Übernahme seines neuen Amtes erste Konturen seiner Pläne für die Neuausrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft zu skizzieren mit ihren möglichen Auswirkungen auf den Wissenschaftsstandort Berlin
(3) aus seiner Mitwirkung als einer der 19 Partner in der sog. ‚Kanzler-Initiative' "Partner für Innovation" eine persönliche Einschätzung über deren Relevanz für die künftige Forschungs- und Innovationspolitik zu erhalten.

Eingangs stellte der designierte Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft die Kenndaten der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands vor. Mit 24.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in 15 nationalen Zentren und mit einem Jahresbudget von 2,2 Mrd.€ leistet die Helmholtz-Gemeinschaft Beiträge zu großen und drängenden Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft: durch strategisch-programmatisch ausgerichtete Spitzenforschung in den Bereichen Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum.
Besonders erwähnenswert war für ihn der sog. ‚Impuls- und Vernetzungsfonds des Präsidenten', der derzeit mit 25 Mill.€ ausgestattet sei und den er beabsichtige, auf 50 Mill.€ aufzustocken. Durch die erforderliche Ko-Finanzierung von 50% komme hierdurch eine finanzielle Verfügungsmasse zusammen, die es erlaube, mit Aussicht auf Erfolg neue strategische Ziele anzugehen.

Professor Mlynek hat seinen Kurz-Vortrag in vier prägnante Thesen eingeteilt:
I.) Köpfe
II.) Vernetzung
III.) Wissens-Transfer
IV.) Wissenschaftliche Autonomie
denen er auf Zuruf des Berichterstatters einen weiteren Diskussionspunkt hinzufügte:
V.) Internationalisierung.

I. Köpfe
Die zentrale Frage in der Hochschul- und Wissenschaftspolitik sei die der richtigen Auswahl der Person. Hier dürfe kein Kompromiß gemacht werden. Dies gälte aber gleichermaßen auch für die Wirtschaft sowie die Verwaltung - und man möchte hinzufügen - für die Politik. Für das Image und für die Attraktion von Hochschulen sei die Excellenz der in ihr agierenden Wissenschaftler der ausschlaggebende Faktor.
In der Berufungspolitik der HUB habe er sich im Rahmen der Möglichkeiten seines Amtes dieser Frage besonders angenommen. Bei der erforderlichen Verjüngung der Fakultäten sei den wissenschaftlichen Nachwuchsgruppen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Neben dem üblichen Ausschreibungsverfahren sieht Mlynek die Notwendigkeit einer gezielten ‚aktiven Rekrutierung'. "Der Umstand, dass sich für einen vakanten Lehrstuhl 100 Bewerber interessieren, ist alleine kein hinreichender Beweis dafür, dass sich hierunter auch die richtigen Bewerber finden". Ein Auswahlverfahren, welches im Zwei-Stundentakt versucht, der Hochschule wie den Bewerbern gleichermaßen gerecht zu werden, ist dem Problem nicht angemessen. Eine einzige Fehlbesetzung kann zu Folgekosten in zweistelliger Millionenhöhe für den Universitätshaushalt führen.
Die HUB hat erfolgreich ein System von Qualitätssicherung in Lehre und Forschung und in zunehmende Maße auch in der Verwaltung aufgebaut. Mlynek zitierte einen Beobachter, der ihm anlässlich seines Ausscheidens attestierte, es sei eines seiner besonderen Verdienste "dem Mittelmaß in der HUB Angst gemacht zu haben". Nun gäbe es "Flaschenlager" überall und beileibe nicht nur in den Hochschulen. Dennoch sei das das Streben nach Qualität im Zeitalter des Bemühens um Excellenz für die HUB ein besonderes Markenzeichen ihrer Reformbemühungen. Nicht von ungefähr belege die Humboldt-Universität auch ohne Elitewettbewerb bundesweit eine Spitzenposition unter den deutschen Hochschulen.
Abschließend zu diesem Teil seiner Ausführungen stellte Jürgen Mlynek fest, dass zwar in allen Ländern die Gruppe von herausragenden Personen, die für Führungsaufgaben im nationalen Wissenschaftsmanagement bekleiden können, klein sei, in Deutschland sei dieser Personenkreis jedoch beklagenswerterweise besonders gering.

II. Vernetzung
Während seiner Amtszeit als HU-Präsident habe er sich besonders darum bemüht, die Zusammenarbeit zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung so eng wie möglich zu gestalten. Zwischen den rund 60 Einrichtungen dieser Art in Berlin gäbe es jedoch noch immer Berührungsängste auf beiden Seiten.
Der Standort Adlershof könne durch seine Konzentration von universitären Forschungseinrichtungen, von Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft und von technologieorientierten Unternehmen bei der angestrebten größeren Vernetzung eine führende Rolle spielen.

Dasselbe gälte für die mögliche größere strategische regionale Clusterbildung in den Biowissenschaften, in der die drei großen Universitäten mit der von FU und HU gemeinsamen getragenen Charité, das Max-Delbrück-Zentrum in Buch, Berliner Einrichtungen der MPG sowie Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen der Berliner Industrie zusammenwirken könnten.
Die erforderlichen Strategiegespräche zur Vernetzung der am Standort Berlin vorhandenen Forschungseinrichtungen - einschließlich der industriellen Forschungslabors - seien bisher nicht genügend forciert worden.

III. Wissens-Transfer
Jürgen Mlynek forderte von der Berliner Forschungs-‚Community' ein ausgeprägteres Bewusstsein zur wirtschaftsnahen Verwertung ihrer Ergebnisse. Dem Wissens-Transfer in die Praxis müsse ein höherer Stellenwert als bisher eingeräumt werden. Das Ziel der in Berlin konzentrierten Wissenschaftseinrichtungen müsse es auch sein, durch die Umsetzung der Forschungsergebnisse zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen. Schließlich bedeute dieser Transferprozeß nicht nur ein zusätzliches Einkommen für den einzelnen, sondern käme auch der Universität als ganzes zugute.

IV. Wissenschaftliche Autonomie
Zur Diskussion über die von manchen als bedroht angesehene Autonomie der Hochschulen durch die Reformbestrebungen der Bundesländer meinte der HU-Präsident, es sei letztlich legitim, dass die Politik, die die finanziellen Mittel zur Verfügung stelle, in den Universitätsgremien ihr Mitspracherecht ausübe. In der Praxis bedeute dies jedoch nach seinen Erfahrungen, dass die Autonomie der Hochschulen in der inhaltlichen Ausrichtung nicht eingeschränkt sei.
Der Impulskreis "Potentialausschöpfung im Forschungssystem" der sog. Kanzlerinitiative "Partner für Innovation" konzentriert sich auf die Themen Wissensvernetzung und wissenschaftliche Autonomie. Mehr Eigenverantwortung einzelner Universitäten steht im Mittelpunkt des Modellversuchs ‚Entfesellete Hochschule'. Das Ziel: mehr Autonomie in der Wissenschaftslandschaft und eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit von Hochschulen und Unternehmen.

V. Internationalisierung
Zu der ihm gestellten Frage nach dem Stellenwert der deutschen Forschungslandschaft innerhalb des Europäischen Forschungsraums, der EU-Forschungsrahmenprogramme, des European Research Council und der weltweiten Zusammenarbeit äußerte sich Jürgen Mlylek wie folgt:

Für Forschung, deren Niveau international wettbewerbsfähig ist und deren Ergebnisse von weltweiter Relevanz sind, gibt es eine zwingende Voraussetzung. Sie lautet: internationale Zusammenarbeit.
Um dies leisten zu können, verbindet beispielsweise die Helmholtz- Gemeinschaft Wissen und Ressourcen verschiedener Disziplinen und Zentren und baut strategische internationale Allianzen auf. Kooperation und Vernetzung mit nationalen und internationalen Partnern aus der Wissenschaft, insbesondere aus den Hochschulen und aus der Wirtschaft sei das Rezept, um effizienter und schneller herausragende Forschungsergebnisse zu erzielen.

Bei Anträgen bei der EU-Kommission innerhalb der Forschungsrahmenprogramme erziele die Helmholtz-Gemeinschaft mit 30-40% eine überdurchschnittliche Erfolgsquote.
Die Gemeinschaft sieht sich als treibende Kraft am Aufbau des Europäischen Forschungsraumes. Es ist strategisches Ziel der Gemeinschaft, Kooperationen auf europäischer Ebene voranzutreiben und Helmholtz-Zentren in europäischen Forschungsprojekten als federführende Partner zu etablieren.
Außerhalb der EU seien strategische Partnerschaften besonders wichtig in Ländern wie den USA, Russland und China. Hier sind eigene Verbindungsbüros der Helmholtz-Gemeinschaft eingerichtet worden. Als besonderes Beispiel erwähnte Mlylek die Zusammenarbeit zwischen Karlsruhe und der Cornell-Universität auf dem Gebiet der Nanotechnologie.

In der Diskussion wurde betont, dass der Fokus "Gesundheitsstadt Berlin" nicht der einzige sein könne, der die künftige Schwerpunktbildung der Berliner wissenschaftlichen Infrastruktur sein könne. Was die "Initiative für Innovation" anbelangt, so musste notgedrungenerweise die Frage unbeantwortet bleiben, ob sie je nach dem Ausgang der Bundestagswahlen fortgeführt würde oder nicht. Niemand hat von ihr viel Neues erwartet und die in ihr enthaltene Ansammlung von Allgemeinplätzen kann daher nicht überraschen. Dennoch kann sie bereits jetzt für sich in Anspruch nehmen, einen wichtigen Beitrag zu dem Prozeß "Raus aus dem Transferdenken" geleistet zu haben. Das Problem besteht nicht in einem Mangel an Analysen, sondern in deren mangelnder Umsetzung.

KHS 28.5.2005

Personalübersicht der IGAFA-Institute
(Stand 31.12.2002) http://www.igafa.de/

Academic Lunch

Der Academic Lunch in Adlershof findet einmal monatlich im Speisezimmer des Veranstaltungszentrums von Adlershof con.vent. (Rudower Chaussee 17) statt. Ein ca. 10-15-minütiger Vortrag mit anschließender Diskussion geht dem gemeinsamen Mittagessen (10€ pro Person) voraus. Im Speisezimmer stehen uns 21 Plätze zur Verfügung; wir bitten Sie daher sich baldmöglichst anzumelden. Bitte beachten Sie, dass wir Ihnen bei Absagen am selben Tag den Preis des Mittagessens in Rechnung stellen müssen.
Der Vorstand der IGAFA (Prof. Dr. I. V. Hertel, MBI; Prof. Dr. S. Jähnichen, FIRST; Prof. Dr. W. Eberhardt, BESSY; Prof. Dr. U. Panne, BAM und Prof. Dr. G. Tränkle, FBH) freut sich auf seine Kollegen aus den Instituten, der Humboldt Universität und den Unternehmen.

Anmeldung und Informationen im Wissenschaftsbuero
IGAFA Initiativgemeinschaft Ausseruniversitaerer Forschungseinrichtungen in Adlershof e. V.
Rudower Chaussee 17, 12489 Berlin
Tel.: 0 30/6392 3583, Fax: 0 30/6392 3584, igafa@igafa.de


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